Fr, 23. September 2016

"Derwalls Erben"

Die Kolumne von Sascha Theisen zum Heimspiel gegen RW Essen

Es war an einem Freitag Abend als Alemannia und Rot-Weiß Essen im Düsseldorfer Rheinstadion vor 37.000 Menschen aufeinander trafen – zu einem Spiel, das nicht im Fernsehen, sondern nur im Radio übertragen wurde. Allein die Namen der Torschützen zeigen, dass es nicht unbedingt vorgestern war, als dieses Spiel gespielt wurde. Denn mit Helmut Rahn auf Essener und Jupp Derwall auf Aachener Seite trafen zwei Spieler, die ein später noch ein bisschen was von der Palme wedelten im deutschen Fußball. 1953 ging der DFB-Pokal leider nach Essen, was Alemannia-Trainer Hermann Lindemann seinerzeit sicher ordentlich auf die seinerseits wedelnde Palme brachte, hätte ihm ein Sieg nach heutigem Dafürhalten doch aller Wahrscheinlichkeit nach mindestens eine Bronzestatue am Ponttor eingebracht.

Wenn Alemannia an diesem Wochenende gegen RWE spielt, findet das Spiel leider nur in der Regionalliga und nicht mal dort als Saisonhöhepunkt statt. Es werden – wenn es gut läuft – vielleicht 10.000 Menschen dabei sein, immerhin 10.000. Denn das, was beide Vereine ihren Anhängern in den letzten Jahrzehnten um die Ohren gehauen haben, ist nicht unbedingt eine herzliche Einladung zum Stadionbesuch. Sei´s drum. Beide Vereine haben ihr Möglichstes getan, um dort zu landen, wo sie heute sind.

Und trotzdem: Während am Tivoli das Pokalfinale von 1953 neu aufgelegt wird, fürchten sich die Traditionsvereine in der Bundesliga vor ganz anderen Namen: Schalke 04 muss nach Hoffenheim, Werder Bremen trifft auf den VfL Wolfsburg und der 1. FC Köln muss gegen einen Verein antreten, der in erster Linie gegründet wurde, um ein Brausegetränk zu verkaufen. Alles Namen, die in den nächsten Jahrzehnten höchstens mit ihren Zweitvertretungen die Niederungen der Regionalligen kennenlernen werden. Dort tummeln sich stattdessen Namen wie Kickers Offenbach (1953 im Viertelfinale ausgeschieden), Waldhof Mannheim (im Halbfinale gegen Essen unterlegen) oder Wormatia Worms (Halbfinal-Niederlage gegen Alemannia).

Dieses Spiel am leider nicht mehr altehrwürdigen Aachener Tivoli sagt viel über das aus, was in den letzten Jahrzehnten mit dem Fußball passiert ist. Auf der einen Seite der viel gepriesene „moderne“ Fußball, der von führenden Knalltüten seiner beteiligten Vereine gnadenlos von einer Kommerz-Orgie in die nächste geführt wird und sich dabei in erster Linie an Fernsehgeldern, Antrittsprämien und Markenbekanntheit orientiert. Und auf der anderen Seite, ein Fußball, der schon so viel erlebt hat, dass er droht an sich selbst zu scheitern. Ein Fußball allerdings, der getragen wird von Menschen, die seinen Untergang geduldig und trotzdem voller nicht vergehender Hoffnung mit- und ertragen. Sie geben ihn ihren Kindern mit, sie hoffen, sie leiden, sie leben Alemannia Aachen, Rot-Weiß Essen oder Waldhof Mannheim. Sie führen Traditionen fort und richten nicht mehr und nicht weniger als ihr komplettes Leben nach dem Verein aus, der am Wochenende deutlich wahrscheinlicher verliert als gewinnt. Sie wissen, dass sie weder ein 6:0 in Warschau, noch ein 4:0 beim HSV in absehbarer Zeit erleben werden und trotzdem versuchen sie ihren Traum weiterzuleben – jedes Wochenende. Sie fühlen sich dazu verpflichtet, es gehört zu ihnen, sie sind so – Pathos-Modus: aus. Sie haben sich nie entscheiden so zu sein, wie etwa Leipziger Fußball-Fans das jüngst getan haben, als sie in eingeflüsterten Choreos das Alter des Stadions feierten, in das ihres gebaut wurde.

An all das sollten heute Spieler und Fans denken, wenn die Pokalfinalisten von 1953 ins Stadion einlaufen. Denn es vereint beide Vereine im Grunde mehr als sie trennt: andauernder Schmerz, verbleichende Träume und bittere Enttäuschung. Aber eben auch nervöse Hoffnung am Spieltag und ständige Anteilnahme unter der Woche, totale Hingabe, echte Würde und eben ein Stück Persönlichkeit. Diese Gemeinsamkeiten wären Grund genug, ein Fußballfest zu feiern, bei dem jeder seinen und nur seinen Verein fatalistisch nach vorne brüllt und 90 Minuten lang einzig und alleine für den Sieg in diesem „Traditionsduell“ lebt. Auf gegenseitige Beschimpfungen indes kann man auf beiden Seiten getrost verzichten – denn die wahren Feinde des Spiels und dessen, was man selbst im Schalensitz oder vor dem Wellenbrecher repräsentiert, die spielen am Wochenende ganz woanders. Und wer es sehen will, der muss nur den Fernseher anschalten, während alle, die heute am Tivoli sind, tatsächlich ins Stadion gehen müssen, um zu sehen, was mit ihrem Verein passiert. So wie damals 1953, als Helmut Rahn und Jupp Derwall trafen und 37.000 Zuschauer ins Düsseldorfer Rheinstadion pilgerten. Was für ein Spiel!

 

Die Kolumne von Sascha Theisen gibt es wie immer auch in der aktuellen Ausgabe des Tivoli Echo. Das offizielle Stadionmagazin der Alemannia ist am Sonntag an den Stadioneingängen beim Team Tivoli oder im Fanshop erhältlich.

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