Fr, 22. April 2016

"Jeden Penny wert"

Die Kolumne von Sascha Theisen zum Düsseldorf-Spiel

Noch gut zwei Monate dann startet die Europameisterschaft in Frankreich. Das bedeutet mal in erster Linie: jeden Tag zwei bis drei Spiele, jeden Tag kühle Getränke und jeden Abend einen ebenso kühlen Besuch in der Stammkneipe der Wahl.

Freunde von mir zählen die Tage aber nicht nur wegen der europäischen Turnierschaumkrone auf ihrem Pils, sondern vor allem deswegen, weil sie sich auf einen Millionenregen nach der EURO freuen. Kein Fan des 1. FC Köln, der nicht schon die Hector-Millionen verplant hätte, kein Mönchengladbach-Anhänger, der nicht schon feucht vom Diver in den Dagobert-Duck-Pool der Xhaka-Moneten geträumt hätte und – ja – selbst kein Darmstadt 98-Fan der nicht schon leicht verstört und etwas debil in sich hinein gegrinst hätte bei der Aussicht auf Millionenbeträge für einen wie Sandro Wagner, für den der DFB-Zug tatsächlich noch nicht abgefahren scheint. Möglich machen es englische TV-Milliarden, die ab Juli einen überhitzten Markt wahrscheinlich endgültig zum überkochen bringen. 30 Millionen hier, 50 Millionen da und selbst 150 Millionen für den ein oder anderen Superstar der Szene – nichts scheint undenkbar in einer Welt, in der Red Bull Leipzig wohl bald um die Champions League Plätze kickt, zweifelhafte Scheichs vermeintliche Traditionsvereine und Weltmeisterschaften kaufen und am Ende auch noch einer wie Marcel Heller für 16 Millionen zu – sagen wir – Leicester City wechselt. Nichts muss, vieles kann, alles geht – eben ganz wie im Swinger Club.

Ein Swinger Club allerdings und das zeigt das Beispiel Heller ganz deutlich, in dem wir Alemannen mal gar nichts zu lachen haben. Man stelle sich vor, der Transfermarkt wäre 2006 schon so explodiert. Sascha Dum und Jan Schlaudraff wären gemeinsam für 65 Millionen zum FC Watford gegangen – nicht auszudenken, selbst das Stadion wäre bezahlt – also vielleicht. Hätte, hätte Fahrradkette. Leider sieht die Wahrheit zehn Jahre später dann doch etwas anders aus.

Geht man unsere Jungs mal einzeln durch bleibt selbst bei wohlwollender Betrachtung leider nicht viel an Tafelsilber übrig am Tivoli. Selbst transfermarkt.de beziffert den Marktwert unserer Spieler –also alle 25 zusammen – auf exakt 2,43 Millionen Euro, 97.000 Euro im Schnitt pro Mann. Scheint also so, als würden die Plätze der englischen Scouts im Stadion auch in Zukunft leer bleiben und die Millionen anders verteilt, jedenfalls ohne unsere Beteiligung. Wobei so ganz stimmt das auch wieder nicht: Denn zarte Hoffnung machte vor kurzem eine ganz andere Alemannia-Institution, eine die schon fast vergessen schien.

In der letzten Woche lag Ausgabe 19 von „In der Pratsch“ in meinem Briefkasten. Und als ich das Heft in der Hand hielt, kam etwas in mir zurück, was ich schon lange vergessen hatte – das Gefühl, dass es etwas besonderes ist, Alemannia im Herzen zu tragen. Denn Alemannia darf trotz allem immerhin noch auf Deutschlands bestes Fanzine verweisen, wenn es darum geht etwas vorzuzeigen, was uns von anderen unterscheidet. Immerhin das, vor allem das – ein Fanzine mit unverstellten Blick auf all das, was uns in den letzten Jahren das Leben so schwer gemacht hat, glänzend recherchiert, brillant unterhaltsam formuliert und bebildert, wie es sonst kein Fußballmagazin nur ansatzweise vermag. Keine Frage: Die Rückkehr der Pratsch ist einer der wenigen großartigen Momente der Alemannia-Wirklichkeit der letzten Jahre. Wenn man so will ist die Pratsch sogar so etwas wie das letzte verbliebene Tafelsilber in unserem Schrank – womit wir wieder beim Thema wären. Wie viel wären beispielsweise Aston Villa, Leicester City oder Manchester United bereit für ein solches Kleinod der Fußballkultur zu zahlen?

Man hört, ein Rotzlöffel wie Neymar wechselt im Sommer im Leben nicht unter 200 Millionen den Verein. Wenn das die Preise sind, wäre für ein identitätsstiftendes Element wie die Pratsch in einem zunehmend die Identität verlierenden Spiel sogar ein Betrag mit neun Nullen keine Utopie – egal was der 1. FC Köln für Hector, was Mönchengladbach für Xhaka oder was Darmstadt für Wagner oder Heller nimmt. Ein Pratsch-Transfer und wir wären aus dem Schneider – ganz vielleicht sogar ein für allemal. Und die Pratsch-Macher, die wären sicher einverstanden – verkauften sie sich doch für den besten vorstellbaren Zweck. Auf der anderen Seite: Dann hätten wir vielleicht gar nichts mehr. Alles verkauft, selbst das letzte Gefühl etwas Einzigartiges zu sein und sei es nur, beim Blick in den Briefkasten alle Jubeljahre. In ihrem Vorwort versprechen die Pratsch-Leute ausdrücklich kein Comeback, weil sie befürchten, es dann auch halten zu müssen. Ihr müsst, möchte man ihnen zurufen. Ihr müsst wiederkommen und zwar regelmäßig. Ihr müsst – ansonsten sehen wir uns gezwungen Euch nach der EM zu verkaufen. Denn Ihr wärt jeden Penny wert!

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