Do, 2. November 2017

"Mit Pfefferminz bin ich Dein Prinz"

Die Kolumne von Sascha Theisen zum Heimspiel gegen Wattenscheid

Nennen wir sie der Einfachheit halber Maria. Maria lächelte mich an und es dauerte keine drei Sekunden bis ich so geschmeichelt war, dass ich vergaß, dass Maria locker hätte meine Tochter sein können, wenn ich vor gut zwanzig Jahren nicht ein bisschen Glück gehabt hätte. Sie war bildschön und trug ein Trikot auf dessen Rücken die Nummer 8 und der Name Iniestas beflockt war. Ihr schwarzes Haar trug sie offen dazu, was sie und das Trikot Iniestas zu einem Gesamtkunstwerk machte. Sie schenkte mir ihr schönstes Lachen – jedenfalls glaube ich das, denn es sah kein bisschen gestellt aus. Ich meine, wenn ich mit der Straßenbahn durch die Straßen Kölns fahre schauen Frauen im Alter Marias aus Gründen durch mich hindurch. In Barcelona war das anders und Maria, der kein Kölner Mädchen ihres Alters das Wasser reichen könnte, schaute eben nicht durch mich hindurch – im Gegenteil. Während sie meine rot-blauen Devotionalien traumwandlerisch sicher in eine Plastiktüte räumte, erinnerte sie an Iniesta während eines Passes über zehn bis 15 Metern, formvollendet. Unverblümt fragte sie mich, ob ich am Abend zum Spiel kommen würde. Da der einzige spanische Satz, den ich aus der längst zurückliegenden Oberstufe mit ins Leben retten konnte aber „Maria va a la farmacia“ ist, verzichtete ich auf eine Antwort in der Landessprache und stammelte nur einen mittelguten Witz in mittelgutem Englisch zurück. Sie lächelte trotzdem zurück und wünschte mir noch eine schöne Zeit in ihrem Barcelona. Und während ich noch darüber nachdachte, was aus Maria und mir hätte werden können, wenn sie vor 25 Jahre früher geboren wäre und statt in Barcelona vielleicht in Düren gelebt hätte, stand ich auch schon vor einer überdimensionalen Foto-Tapete des Camp Nou und knipste ein überschwängliches Selfie. Herzlich Willkommen beim FC Barcelona.

In meinem FC Barcelona-Einkaufskorb lagen FC Barcelona-Untersetzer, eine Miniatur-Ausgabe des Camp Nou, ein FC Barcelona-Kapuzenpulli, ein Trainingspulli für den Sohnemann und um den Bock fett zu machen: FC Barcelona-Pfefferminz-Pastillen in Andres-Iniesta-Blechdosen. Ich befand mich fest in den unbarmherzigen Klauen der Kommerzialisierung. Zwar widerstand ich den FC Barcelona-Kartoffelchips und ließ auch den FC Barcelona-Flaschenöffner nach längerem Überlegen im Regal, aber eine Entschuldigung für diesen Kaufrausch, den ich bei jedem anderen Besucher des FC Barcelona-Fanshops überlegen belächelt hätte, gibt es nicht. Selbst Maria nicht, denn sie traf ich ja erst an der Kasse als sämtliche Kaufentscheidungen bereits lange getroffen waren.

Vielleicht waren es Messi, Iniesta und der unfassbar unbeholfene Luis Suaréz, die mich umgeben von ihrem überraschend und angenehm minimalistisch ausgestatteten Camp Nou derart verzauberten, dass ich mich einfach gezwungen sah, meinem Leben ein bisschen mehr Barca-Style zu verleihen und wenn es nur mit Pfefferminz-Pastillen und Untersetzern war.

Im ersten Moment des Kaufrausches fühlte es sich auch gut an, ein bisschen zu denen zu gehören, die gewinnen. Denn mal ehrlich: Wer würde nicht gerne einfach jede Woche nach einem Besuch beim lokalen Schinken-Geschäft mit Verzehr eines kühlen katalanischen Bieres bei gut 20 Grad zu einem Flutlicht-Spiel gehen, dabei ein bisschen Unabhängigkeit für seine Heimat einfordern und dann mit einem ungefährdeten Sieg nach acht bis zehn epischen Iniesta-Pässen wieder zufrieden nach Hause zu gehen?

Aber Perfektion ist eben außerhalb Barcelonas schwer zu finden. Anderswo ist sie meist nur eine Illusion und am Ende eben auch ein bisschen langweilig – auch dann, wenn man jede Sekunde von ihr genießt an Tagen an denen man sie besucht – diese Perfektion des Augenblicks, die man in Barcelona in Pfefferminz abgepackt mit nach Hause nehmen kann.

Iniestas Pässe jedenfalls waren vergänglich. Denn schon in der Sekunde nach der er sie spielte, verstolperte Suarez sie auch schon wieder. Will man Iniesta sein, wenn man dafür Suarez ertragen muss? Oder will man Maria sein, wenn man dafür alte deutsche Männer anlächeln muss, die schon ein paar Sekunden später Selfies vor einer Foto-Tapete machen?

Kurz nachdem ich auf den Auslöser auf meinem Handy gedrückt hatte und einen letzten verklärten Blick zu ihr warf, stand bereits ein Ire vor ihr. Er war in meinem Alter und als Maria ihn freundlich lächelnd fragte, ob er an diesem Abend ins Camp Nou kommen würde, machte er einen schlechten Witz in irischem Akzent. Was er sich wohl einbildete? Sie hätte seine Tochter sein können.

Was das alles mit Alemannia zu tun hat? Nichts! Alemannia verlor am gleichen Tag zu Hause gegen Rot-Weiss Essen. Wir verfolgten das Spiel in einer Tapas-Bar per Live-Ticker und ärgerten uns über eine dieser Niederlagen. Maria hatte da schon Feierabend und ihr Iniesta-Trikot längst abgelegt. Schöne, wunderschöne Maria. Nie wird sie erfahren, wo Wuppertal liegt. Armes, armes Mädchen.

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