Fr, 19. September 2014

Die goldenen Zeiten

Kolumne von Sascha Theisen zu den Heimspielen gegen Uerdingen und Bochuim

Sicher gibt es wenige Orte, an denen der geflügelte Satz, dass früher alles besser war, öfter fällt als am Tivoli. Schöneres Stadion, besserer Fußball und auch die Stadionwurst hatte irgendwie ein anderes, ein besseres Aroma. Klar, wenn Du auswärts in Wiedenbrück verlierst, nachdem Du vorher die Tabelle auf die allgemeinen Möglichkeiten für diese Saison abgecheckt hast, wird Dir am Ende klar, dass das früher auch nicht großartig anders war und vieles eh so bleibt, wie es war. Aber trotzdem: Die Vergangenheit positiv zu verklären, ist wie die Asche anbeten und außerdem gibt es Dir das Gefühl, dass Du weißt, was Du tust, wenn Du hier bist: nämlich auf bessere Zeiten hoffen und warten, dass die endlich anfangen.

Wenn es aber einen gibt, den ich alle zwei Wochen am immer gleichen Platz treffe und der mal wirklich allen Grund hat, den alten Zeiten hinterher zu trauern, dann ist das der Mann an dem Parkplatz, an dem ich nun schon seit knapp 15 Jahren – also seit der Zeit, an der ich aus Aachen weg zog, mein Auto abstelle, um anschließend zum Tivoli zu gehen. Der Parkplatz schweigt beinahe ein bisschen beleidigt vor sich hin, dort, wo das Steuerbüro, das unsere Zuschauer zählt, seinen Sitz hat. Strategisch liegt er gut, weil gleich zwei Tankstellen die Versorgung vor und nach dem Spiel sichern. Unter anderem deshalb habe ich ihn auch beibehalten, als der vorher so nah gelegene Tivoli starb und die Entfernung zum Stadion für meine lädierten Kreuzbänder nahezu beschwerlich wurde.

In den Jahren davor gab es allerdings keinen besseren Platz, sein Auto abzustellen als ihn. Es waren die goldenen Zeiten für den Parkplatz und für dessen Parkplatzmann und seine Frau, die an jedem Spieltag schon weit vor dem Anpfiff an der Einfahrt standen und im Akkord die Standgebühr kassierten. Manchmal versuchten wir die Autos zu zählen, die sich kreuz und quer in die Parklücken quetschten, nur um herauszufinden, wie groß der Reibach eigentlich sein musste, den die Beiden hier alle zwei Wochen machten. Und bei dem Betrag auf den wir kamen, machten wir uns ernsthaft Gedanken, wie wir selbst an einen solchen Parkplatz kommen könnten, um so ein Leben ohne Mühsal und in Saus und Braus führen zu können. Es müssen mehrere Hundert Karossen gewesen sein – und zwar jedes Fabrikats, vom schweren Flügeltür-Mercedes bis zum verrosteten Kugelblitz – deren Fahrer Heimspiel für Heimspiel ihre Euros abdrückten, um einen guten Startplatz zum Spiel zu haben. Alleine der Parkplatz, der damals alles andere als beleidigt vor sich hin vegetierte, war damals ein nicht zu unterschätzender Grund, früh genug zum Tivoli zu fahren. Schließlich ging es darum, überhaupt erst einmal sein Auto abstellen zu können. Wie gesagt: Goldene Zeiten waren das! Der Parkplatzmann trug akkurat geputzte, italienische Schuhe, die Alemannia spielte vor stets ausverkauftem Haus und freie Parktaschen vor dem Wotax-Büro waren in etwa so knapp wie Taucherbrillen in der Wüste. Der Boom machte nicht halt vor anderen Start-Ups, die rund um den prosperierenden Parkplatz aufblühten. Denn schon bald stand eine portable Wurstbude ungefähr zwanzig Schritte von ihm entfernt und jeder, der einen Abstellplatz ergattert hatte, gönnte sich hier noch eine schnelle Bratwurst im Brötchen für schlappe 2,50 Euro. Eine Geschäftsidee, die uns wieder dazu veranlasste, auch hier einmal hochzurechnen, ob der Wurstbudenmann denn überhaupt noch irgendetwas anderes tun musste, als hier alle zwei Wochen Würste zu drehen. Keine Frage: Mindestens für den Parkplatzmann, den Wurstbudenmann und auch für die beiden Tankstellen hätte das alles genauso weiter laufen können.

Angekommen im heute, muss man aber leider sagen, dass die große Depression mit Stadionneubau und gesunkenen Zuschauerzahlen einiges verändert haben – leider nicht zum Guten. All die Parker, die früher schon eine Stunde vor Spielbeginn, in ihre Lücke rangierten, haben ganz offenbar einen neuen Abstellplatz 200 Meter weiter runter an der Krefelder Straße gefunden. Jedenfalls kommen sie nicht mehr. Aus rein sentimentalen Gründen fahre ich immer noch hin. Und der Parkplatzmann steht immer noch da. Sein Gesicht scheint ein bisschen trauriger zu sein. Das Geld, das er einnimmt, passt locker in seine Hosentasche und taugt dort maximal noch zum Klimpern. Der Wurstbudenmann ist schon lange weg. Längst fahre ich ein bisschen ruhiger in die Einfahrt zum Parkplatz – manchmal erst 10 Minuten bevor das Spiel los geht – im sicheren Gefühl mir den Parkplatz aussuchen zu können.

Und der Parkplatzmann? Mittlerweile winkt er mich einfach durch. Und wenn ich dann Schal, Jacke und Mütze angezogen habe und auf dem Weg zum Stadion an ihm vorbei gehe, schauen wir uns meist noch einmal kurz schweigend an – einen kurzer Augenblick nur. Dann nicken wir uns beiläufig zu und grüßen kurz. Es gibt nicht viel zu sagen – außer vielleicht, dass früher alles besser war.

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