Do, 15. November 2018

Mister-Miyagi-Moment

Kolumne von Sascha Theisen

Es ist nicht lange her, da spielten meine grün-weißen Jungs während es von rechts nach links regnete in einem Ort namens Bedburg und verloren unglücklich 0:1. Auf dem Heimweg nahm ich unseren Rechtsaußen mit nach Hause, der sich hinten auf der Rückbank zunächst ein bisschen über zwei nicht gegebene Elfmeter echauffierte und dann lange schwieg.

Plötzlich fing er notgedrungen doch noch mal ein Gespräch mit seinem Trainer an, kurz nachdem sein Blick auffallend lange am Alemannia-Wimpel an meinem Rückspiegel hängengeblieben war. „Fahrt Ihr da wirklich hin? Also auch ins Stadion?“ Es war eine dieser Fragen, in der ein Schuss ungläubiges Mitleid auf eine volle Ladung Unverständnis trifft. Carl, der auf dem Beifahrersitz saß, grinste vielsagend zum Fenster raus und überließ mir die Gesprächsführung.

Man muss dazu wissen: Der Rechtsaußen ist Bayern-Fan und als solcher gewohnt Samstags die Sportschau einzuschalten, um kurz die Höhe des Sieges seiner Mannschaft zur Kenntnis zu nehmen und höchstens im April jeden Jahres einen Abend lang zu leiden, wenn sein Verein aus dem Champions League Halbfinale rausfliegt. Jemand, der ein solches Leben führt, gerät schnell aus dem inneren Gleichgewicht, wenn er sich mit Leuten unterhält, die ihm ganz „Mister-Miyagi-Like“ die Regionalliga West als Erfolgsrezept verkaufen. Sinngemäß sagte ich ihm in Richtung Rücksitz nämlich etwas wie: "Wer Fliege kann fangen mit Stäbchen, der vollbringen kann alles". Ich fand schon immer, dass Fußballtrainer ihren Spielern ein bisschen was aus „Karate Kid“ mit auf den Weg geben sollten. Das hier war so etwas wie mein Miyagi-Moment und ich kostete ihn aus.

Rot-Weiß Essen, Waldhof Mannheim, Offenbacher Kickers, Spielvereinigung Bayreuth, 1. FC Saarbrücken oder eben Alemannia Aachen – wenn einer dieser Vereine der Kern Deines Karate ist, musst Du Dich ständig und überall rechtfertigen, wenn Du nicht gerade mit Gleichgesinnten den Kranich zelebrierst. Wer allerdings in diesen Tagen ein bisschen genauer auf die Welt des Fußballs schaut, der kann das Spielchen auch ganz schnell umdrehen. Denn um ehrlich zu sein, ist alles andere als einen der genannten Vereine – im Idealfall natürlich Alemannia – zu supporten, kompletter Unfug.

In Köln, der Stadt vor deren Toren ich wohne, gehört die Folkloresierung des Fußballs zum Verein wie einst der Schnaps zur DDR. In geringelten Karnevalstrikots und Kniestrümpfen tanzen die Finanzbeamten des Alltags über ihre Sitzschalen, singen Schüttelreime im örtlichen Slang und nennen das Liebe zum Spiel, was doch eigentlich nur Liebe zu sich selbst ist.

In München beim Verein meines Rechtsaußen zitieren sie empört das Grundgesetz, nur weil sie mit der seltenen Tabellenkonstellation, die sie nicht auf der ultimativen Sonnenseite des Fußballlebens sieht, einfach nicht zurechtkommen. Stattdessen planen sie heimlich und ein bisschen konspirativ den Super-League-Untergang dessen, was viele bisher für Fußball hielten.

Auch international sieht es nicht besser aus. Was wohl all die vom World Wide Web globalisierten Fußball-Kids in ihren Messi- und Neymar-Trikots dazu sagen werden, wenn Real Madrid demnächst die spanische Liga gegen den FC Barcelona in Peking eröffnet? Wenn Paris St. Germain auch im französischen Pokalfinale im Katar ungeschlagen bleibt? Oder wenn Manchester City mit all seinen Sanés und de Bruynes öfter im Stadion der New York Giants antritt als im heimischen – Achtung: Fluggesellschaft am Start – Etihad Stadium? Wahrscheinlich werden sie nur stumm und stoisch ihr DAZN-Abo aktivieren und schauen, was geht, während sich Fußball-Opas wie ich alte Schnipsel auf youtube reinziehen, um mit der Digitalisierung des Fußballs wenigstens ein bisschen Schritt zu halten.

Der Fußball ist kurz davor alles wegzugeben, was er einmal war. Gefragt sind globale Marken, die vor allem im asiatischen als auch im nordamerikanischen Raum funktionieren und erst zur Zweitverwertung im ehemaligen aber weniger wichtigen europäischen Einzugsgebiet in Erscheinung treten. Unvorstellbar, dass Alemannia in diesem Spannungsfeld noch mal eine Rolle spielen wird. Irgendwie aber auch ganz beruhigend, wie ich finde.

Vielleicht sollte ich meinen Rechtsaußen mal mit zum Tivoli nehmen, ihm zeigen wie sich ein 0:0 vor fast leeren Rängen und bei nasskaltem Wetter von einem Knopf auf der Fernbedienung unterscheidet. Oder anders gesagt: "Wer Fliege kann fangen mit Stäbchen, der vollbringen kann alles."

Verwendung von Cookies

Diese Seite nutzt Cookies für Google-Analytics. Sie können Cookies akzeptieren oder ablehnen und Ihre Entscheidung jederzeit ändern.

Weitere Informationen erhalten Sie hier.

Ablehnen Akzeptieren

Einstellungen

Weitere Informationen erhalten Sie hier.

Ablehnen Akzeptieren
Cookie Einstellungen Historie

Historie

alles löschen Schließen