Siege wie Niederlagen

In letzter Zeit denke ich öfter an Niederlagen, was daran liegt, dass ich zutiefst davon überzeugt bin, es bräuchte ein Buch über das epische Scheitern von Fußballmannschaften. Giresse und Platini 1982, Puskás und Hidegkuti 1954, Derwall und Breitner 1982 oder Effenberg und Kuffour 1999. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto sicherer werde ich, dass dieses Buch dringender geschrieben werden muss als jedes andere, das bisher auf den Büchermarkt geworfen wurde. Wen interessieren schon die Sieger, wenn die Nacht des Triumphes geschlafen ist? Es war schon immer der Charme der Niederlage, der damit verbundene Schmerz und natürlich auch die Angst davor, begleitet von der unvergleichbaren Erleichterung, wenn sie ab und an mal nicht eintrat, die mich letztlich ins Stadion zogen -immer und immer wieder. Klare Sache, dass man mit so einer Sicht auf die Dinge zwangsläufig bei Alemannia landet. Denn mal völlig subjektiv und ohne großartig auf all die anderen versprengten Traditionsvereine zu schauen: Wo sonst wäre die Angst vor der Niederlage ausgeprägter?

Ich kann mich noch gut an das Pokalhalbfinale gegen Borussia Mönchengladbach erinnern, dass sich erst vor kurzem zum 15. Mal jährte. Es war dies eines der Spiele, bei dem die Angst vor einer Niederlage größer war als die Lust auf einen Sieg. Wir alle, die sich damals am Tivoli trafen, um ein Spiel zu überstehen, das letztlich nur die Eintrittskarte zum nächsten bedeutete, waren wir gelähmt von dieser Angst – waren völlig unfähig zu gutem Support, bibberten eigentlich nur, ob das da unten auf dem Rasen gut gehen könnte, wohlwissend, dass es im Normalfall niemals gutgehen würde. All diese Angst entlud sich erst nach dem Schlusspfiff. Aber dies war eben keine Niederlage, sondern am Ende ein Sieg. Wenn man so will – ein Sieg, der so schön war wie die bitterste Niederlage.

Und von diesen bitteren Niederlagen gab es einige. Da waren solche in der Bundesliga bei denen der brasilianische Spielmacher des Gegners das Tor des Jahres gleich mal von der Mittellinie schoss und sich ganz Deutschland vor Begeisterung krümmte außer wir. Da waren Niederlagen in Heimspielen, die noch Minuten vor dem Schlusspfiff bei Zwei-Tore-Führungen wie sichere Siege aussahen bis Leute an den Ball kamen, deren Namen heute klingen als würden sie aus anderen Welten stammen: Benny Lauth, Diego Klimowiscz, Hansa Rostock. Da waren finale Niederlagen, die sich mal wie ein Fest (Berlin), mal wie das Ende (Bonn) anfühlten. Da waren aber auch stumpfe Schläge – sang- und klanglose, im nachhinein fast folgerichtige Tiefschläge von Mannschaften wie Eintracht Braunschweig, dem VfL Bochum oder den SV Straelen. Und fast auf den Tag an dem dieses Tivoli Echo erscheint, jährt sich zum siebten Mal eine Niederlage, die bis heute nicht gutzumachen ist. Eigentlich war diese Niederlage in der Allianz Arena ein Sieg, der aber durch eine Niederlage auf einem anderen Platz im Badischen zur bittersten Niederlage von allen wurde. Vielleicht war das damals die Mutter der Niederlagen, zu der all die anderen hinführten und von der all die, die danach kamen ausgingen – wer weiß das schon?

Die meisten von diesen verfluchten Arschlöchern, wie ich Niederlagen in einsamen Stunden gerne zärtlich nenne, sind zum Glück wieder verdrängt, weggeschoben in die hinterste Gehirnwindung – genau in die Windung für Niederlagen, die sich immer dann wieder meldet, wenn ein Spiel angepfiffen wird. Jetzt in Saisonschlussphase ist die Angst davor etwas geringer – wenigstens in der Liga. Denn jetzt in diesem Moment, in dem ich diese Kolumne schreibe, ist das Pokalhalbfinale in Düren noch nicht gespielt – in dem Moment, wo sie abgedruckt wird, aber schon. Tja – auch so eines dieser Spiele. Pokalhalbfinale. Lust auf einen Sieg? Geht so! Angst vor einer Niederlage? Absolut! Hoffentlich keines der Spiele für mein Buch…