Fr, 11. Dezember 2015

"Ein Kater abends um sechs"

Die Kolumne von Sascha Theisen zum Spiel gegen Ahlen

Letzten Samstag und in den Tagen danach musste ich sehr häufig an einen längst demissionierten Alemannia-Geschäftsführer denken, bei dem ich vor vielen Jahren, fast Jahrzehnten, wegen einer TORWORT-Lesung vorsprechen durfte. Noch in den Baracken vor dem einzig wahren Tivoli durfte ich abends um 18 Uhr antreten. Ich freute mich mächtig auf den unverfälschten Blick ins Innenleben meiner großen Liebe. Allerdings verflog die Vorfreude schnell, als ich zwar freundlich aber dennoch desillusionierend zu dieser leicht fortgeschrittenen Uhrzeit mit den Worten „Herrje – habe ich einen Kater“ begrüßt wurde. Jeder, der schon einmal die Tiefen von Gläsern erkundet hat, weiß, was man leisten muss, um seinen Brummschädel noch am Abend danach zu spüren. Und während ich noch darauf hoffte, dass diese etwas beschwingte Arbeitsatmosphäre nicht üblicher Brauch wäre in den schwarz-gelben Katakomben, hörte ich lautstarke und kontroverse Diskussionen aus dem Nebenzimmer – ein echter Hoffnungsschimmer. Denn natürlich nahm ich an, dass dort vehement die Geschicke des Vereins gelenkt würden. Ich fühlte mich fast erleichtert und vergaß die vorherigen kateresken Schilderungen des Chefs ganz schnell wieder. Er musste seinen Laden doch im Griff haben, wenn hier so geräuschvoll Business betrieben wurde. Doch die Erleichterung wich schnell, als ich genauer hinhörte, worum es nebenan wirklich ging. Niemand diskutierte über eventuellen Neuverpflichtungen, über strategische Nachwuchskonzepte oder über Merchandising-Accessoires, die ich sicher bereit gewesen wäre ohne großes Tam-Tam zum doppelten Originalpreis mitzunehmen. Nein, hier in der Geschäftsstelle wurde lauthals und offenbar gestenreich etwas ganz anderem gefrönt und das war zu meinem Entsetzen weder Fußball noch Business: Es drehte sich um Tipp-Kick. Ein Blick durch den Türspalt zeigte es deutlich: Ein kurzer Tipp auf den Kopf der Spieler und schon beulte sich das Netz am Tivoli. Harter Tobak für jemanden, der auf eine Prise mehr Empathie gehofft hatte.

Doch da die Ente bekanntlich erst am Ende fett ist, sprang zum Schluss meines Termins, als alles besprochen schien, die Tür auf und einer der passionierten Tipp-Kick Spieler verabredete mit dem starken Mann auf der schwarz-gelben Kommandobrücke einen weiteren feuchtfröhlichen Ausflug ins damals und vielleicht auch heute noch existierende „B9“. Zeche Alemannia.

Alemannia spielte damals durchaus aussichtsreich in Liga Zwei, weshalb ich all das mit einem kritiklos wohlwollenden Lächeln aufnahm und nur zart mit dem Kopf schüttelte als ich anschließend in meinem Auto saß und das Gesehene Revue passieren ließ. Wort- aber nicht grußlos nahm ich es schließlich auch hin, als die Geschäftsstellentruppe geschlossen an meinem Auto vorbei und durchaus bestens gelaunt in Richtung Aachener Nachtleben aufbrach. „Prost,“ murmelte ich, fuhr schweigend heim und beschloss, einfach nicht zu glauben, was ich erlebt hatte.

Spätestens seit damals weiß ich, dass man nicht von allen Beteiligten rund um Alemannia erwarten darf, dass sie alles für die gute Sache geben, die mich und andere so nachhaltig beschäftigt.

Die vergangene Woche war bitter und hart für jeden, der mit Alemannia hofft und bangt. Mal wieder. Es gingen beängstigende Nachrichten über den Äther, die einen nächtlichen Ausflug der Führungsriege in eine zweifelhafte Diskothek zum Kavaliersdelikt werden lassen.

Es sind dies Nachrichten, die mich und andere sprachlos machen. Deshalb habe ich mir wie damals auferlegt, sie einfach nicht glauben. Wer kann und möchte ernsthaft glauben, dass eine Mannschaft gegen ihren Trainer spielt und billigend hohe Niederlagen in Kauf nimmt? Wer kann und möchte glauben, dass Spieler wissentlich nicht nur ihrem eigenen Mikrokosmos schaden, sondern eben auch all denen, die mit Alemannia mehr verbinden als einen Trainer, einen Platz auf der Bank oder der Tribüne. Menschen, die in ihren Mittagspausen lautstark und leidenschaftlich für Alemannia eintreten, die in Alemannia-Trikots zum Sportunterricht gehen und sich dafür den Spott ihrer Mitschüler in Bayern- oder Dortmund-Trikots abholen oder die einfach nur darauf hoffen, eines Tages wieder in einem vollen Stadion zu sitzen, in das nicht RW Ahlen einläuft, sondern bewusst und ganz bescheiden gesagt: Energie Cottbus oder Eintracht Braunschweig. Wer kann und möchte ernsthaft glauben, dass Spieler in der vierten Liga sich so wichtig nehmen? Niemand? Besser glaubt das niemand! Denn was bliebe allen Beteiligten dann noch? Tipp-Kick vielleicht! Oder anders ausgedrückt: Herrje, hab ich einen Kater!

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